Das Gehirn ist der Boss
Geschrieben von: Markus Müller, Physiotherapeut, Manualtherapeut OMT
Das Gehirn entscheidet.
Die meisten von uns kennen Geschichten von Menschen die schlimme Verletzungen erlitten haben, ohne das sie zum Zeitpunkt der Verletzung Schmerzen verspürt hätten. Was passiert in diesen Situationen mit unserem Warnsystem?
Eine schwere Verletzung führt dazu, dass viele intensive Alarmsignale ins Gehirn hineinströmen, die aber nicht unbedingt zu Schmerzen führen müssen.
Wieviel Schmerz man tatsächlich verspürt ist nicht zwingend vom Schweregrad des entstandenen Gewebeschadens abhängig!
Hier eine wahre Begebenheit:
Ein Bauarbeiter sprang von einem Gerüst und landete auf einem großen Nagel, der seinen Fuß aufspießte. Der Nagel trat oberhalb der Stahlkappe seines Schuhs wieder aus. Als er in die Notaufnahme gebracht wurde hatte er starke Schmerzen und benötigte starke Schmerz- und Beruhigungsmittel, bevor der Nagel herausgezogen werden konnte, da selbst die geringste Berührung oder Bewegung unerträgliche Schmerzen verursachte. Als der Stiefel entfernt war stellte sich jedoch heraus das der Nagel zwischen den Zehen nach oben ging, ohne das es zu einer Gewebeverletzung gekommen wäre!
Dazu gib es viele Geschichten aus Kriegszeiten. Zum Beispiel Veteranen aus dem zweiten Weltkrieg bei denen Jahrzehnte später durch eine Routineuntersuchung Granatsplitter oder gar ganze Gewehrkugeln entdeckt wurden. Diese steckten im Körper, ohne dass die Personen davon wussten oder dadurch Schmerzen gehabt hätten. In anderen Situationen liefen selbst schwer verbrannte Menschen in brennende Häuser zurück, um Kinder zu retten! Sportler*innen spielen oft trotz schwerer Verletzungen ein wichtiges Spiel zu Ende.
Aber das Verhältnis zwischen dem Ausmaß einer Verletzung und der Intensität der Schmerzen kann sich auch anders herum auswirken. Jeder weiß wie es sich anfühlt wenn man sich an einem Blatt Papier den Finger schneidet. Der Schnitt ist nicht tief und man erleidet keinen großen Gewebeschaden, aber es tut richtig weh und man kann sich einfach nicht erklären, wie so ein kleiner Papierschnitt so schmerzen kann.
Offensichtlich ist das, was in den Geweben passiert, nur ein Teil der Geschichte!
Offenbar ist das Gehirn beteiligt
Die Intensität von Beschwerden hat nur selten mit dem Ausmaß der Veränderungen an Bandscheiben oder Nerven zu tun. Tatsächlich haben viele von uns erschreckend anzuhörende Diagnosen, wie „Bandscheibenvorfall“ oder „gequetschte Nerven“, die aber vielleicht nie zu irgendwelchen Symptomen führen werden. Viele Veränderungen im Körper gehören einfach nur zum „Lebendig-Sein“ und müssen nicht unbedingt zu Schmerzen führen. Solche Veränderungen sollten niemanden davon abhalten ein funktionelles und aktives Leben zu führen.
Einfach gesagt: Wenn es zu keinen Schmerzen kommt bedeutet das, dass unser Gehirn diese Gewebeveränderungen als nicht bedrohlich einstuft.
Viele ganz unterschiedliche Faktoren spielen bei der Schmerzerfahrung eine Rolle, aber letztendlich entscheidet allein das Gehirn ob etwas schmerzt oder nicht. Und das gilt 100prozentig – ohne jede Ausnahme.
„.Das Gehirn ist der Boss“
Der Körper sagt dem Gehirn das er in Gefahr ist, nicht dass er Schmerzen hat. Letztendlich ist das Gehirn der Boss - er muss nicht auf die Gefahrenmeldungen hören die vom Körper kommen und zu Schmerzen führen können.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Du die Gefahrenmeldungen von einem schmerzenden Zahn wahrnimmst, wenn Du gerade beim Zahnarzt sitzt. Im Gegensatz zu den Gefahrenmeldungen einer Prellung von gestern Abend, die Du dir zugefügt hast während Du gerade einen spannenden Film ansahst. Es gibt viele Chef`s im Körper, aber die Schmerzneurowissenschaftler glauben, dass das Gehirn der ultimative Boss ist. Bedenke jedoch, dass auch Chefs manchmal nicht zuhören und manchmal Entscheidungen treffen die wir nur schwer verstehen können.
Das Gehirn entscheidet zu 100% der Zeit ob Du Schmerzen hast.
Die Entscheidung des Gehirns schließt eine Abwägung aller Gefahren und Sicherheiten mit allen Informationen ein, die ihm zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Die Metapher "Das Gehirn ist der Boss" betont die Trennung zwischen Gewebeschäden und Schmerzen. Sie soll dabei helfen Dich zu ermutigen, ein Verständnis für die herausragende Stellung Deines eigenen Gehirns zu erlangen.
Demnächst mehr dazu!